Chronischer Stress, Angst und Erschöpfung sind keine individuellen Schwächen, sondern Symptome einer weitverbreiteten Dysregulation des Nervensystems. In diesem Interview erklärt Timo Janisch, wie Epigenetik, Trauma und Lebensstil zusammenwirken und was Sie konkret tun können, damit Ihr Nervensystem wieder ins Gleichgewicht kommt. Diese Themen greifen wir im Kontext von QS24, wikiSana, QS24.tv, Sprechstunden auf — weil Wissen und Praxis beide gefragt sind.
Inhaltsverzeichnis
Das Interview
Herr Janisch, was versteht man unter Epigenetik – und warum ist das für Stress und Gesundheit wichtig?
Epigenetik ist die Art und Weise, wie der Körper entscheidet, welche Gene an- oder ausgeschaltet werden. Stellen Sie sich die Gene wie die 88 Tasten eines Klaviers vor. Die Gene sind der Bauplan, festgeschrieben. Die Epigenetik ist die Pianistin, die auswählt, welche Tasten zu welchem Zeitpunkt erklingen. Lebensstil, Umwelt und emotionale Erfahrungen beeinflussen diese Pianistin stark. Das erklärt, warum nicht allein die Anzahl der Gene unsere Komplexität bestimmt, sondern vor allem ihre Regulation. Für Sie heißt das: Gene sind keine Schicksalsschreibung. Viele gesundheitliche Verläufe lassen sich durch gezielte Lebensstil‑ und Umgebungsinterventionen positiv verändern.

Welche Arten von Stress wirken auf diese Regulation ein?
Man unterscheidet drei große Stressarten: physischer Stress (Trauma, Unfälle), chemischer Stress (Umweltgifte, Schadstoffe) und emotionaler Stress (chronische Anspannung, unerfüllte Grundbedürfnisse). Alle drei können epigenetisch wirken und die Regulation Ihrer Gene verändern. Zum Beispiel finden sich Spuren von Umweltgiften schon bei Neugeborenen; sie können Stoffwechselkreisläufe blockieren und Gene stören. Daher ist ein ganzheitlicher Blick nötig: Körper, Psyche und Umwelt sind untrennbar verbunden.
Wie stark ist das Problem in unserer Gesellschaft?
Die Daten sind eindrücklich: In Umfragen geben über 60 Prozent der Befragten an, dauerhaft gestresst zu sein. Burnout‑Symptome finden sich bei 20 bis 37 Prozent; depressive Verstimmungen bei über 14 Prozent. Diese Zahlen spiegeln eine breite Nervensystem‑Disregulation wider. Für Sie als Leser bedeutet das: Die Wahrscheinlichkeit, dass Stress Ihre Regeneration, Ihr Immunsystem oder Ihre kognitiven Fähigkeiten beeinflusst, ist hoch. Das ist kein persönliches Versagen, sondern ein kollektives Signal.

Was passiert konkret im Nervensystem bei chronischem Stress?
Das Nervensystem sollte als dynamische Welle funktionieren: Aktivierung (Sympathikus) und Erholung (Parasympathikus) wechseln sich ab. Chronischer Stress verschiebt dieses Muster: Entweder verharren Menschen im Hyperarousal (dauerhafte Aktivierung, Angst, permanente Leistungsbereitschaft) oder sie kippen in Hypoarousal (Erschöpfung, Antriebslosigkeit, depressive Symptome). Beide Zustände verhindern Regeneration und führen langfristig zu körperlichen Erkrankungen, etwa Autoimmunreaktionen, wenn das Stresshormon Cortisol das Immunsystem fehlreguliert.

Warum bemerken viele Menschen ihre Dysregulation nicht rechtzeitig?
Weil sich Normen verschieben. Gabor Maté nennt das den Mythos des Normalen: Wenn alle ständig überlastet sind, erscheint das überlastet sein normal. Zudem wirken viele Systeme retraumatisierend: Wer in Kindheit oder Ausbildung gelernt hat, nur durch Leistung Liebe oder Anerkennung zu erhalten, findet sich leichter in Strukturen wieder, die genau dieses Verhalten belohnen. Solange diese Muster nicht reflektiert und aufgelöst werden, bleibt die Dysregulation verborgen.
Welche Rolle spielen frühkindliche Erfahrungen und Trauma?
Trauma beginnt nicht erst bei Katastrophen. Entwicklungstraumata, etwa fehlende Bindung, Vernachlässigung oder Mobbing, prägen das Nervensystem. Diese Prägungen verändern epigenetische Marker und machen Menschen später anfälliger für Dysregulationen. Eine wichtige Folge: Systeme, die Leistung belohnen, docken an diese frühen Bewältigungsstrategien an und verstärken sie. Reflexion, Integration und therapeutische Arbeit sind deshalb zentrale Schritte zur Rückgewinnung von Selbstregulation.

Wie lässt sich Dysregulation praktisch behandeln — reicht die Schulmedizin?
Die klassische Schulmedizin leistet vieles, insbesondere in der akuten Versorgung. Häufig bleibt sie jedoch symptomorientiert: Medikamente wie Cortison sind in akuten Phasen wertvoll, aber allein keine Lösung, wenn die Ursachen weiterwirken. Für Autoimmunerkrankungen etwa sind Immunsuppressiva kurzfristig hilfreich, ohne die auslösenden Faktoren wie chronischen Stress, Umweltgifte oder Traumata zu adressieren. Ein integrativer Ansatz kombiniert funktionelle Diagnostik (z. B. Laborwerte zu Entzündungen, Hormonen, Darmmikrobiom) mit Lebensstilinterventionen, Traumatherapie und Umweltsanierung.
Welche konkreten Schritte empfehlen Sie, wenn ich spüre, dass mein Nervensystem aus dem Takt geraten ist?
Sofortmaßnahmen sind Schlaf, regelmäßige Bewegung und kleine regelmäßige Pausen zur Regulation. Mittelfristig helfen: Traumaarbeit zur Integration alter Bewältigungsstrategien, epigenetisch informierte Anpassung von Ernährung und Umwelt, gezielte Rehabilitation des Nervensystems durch Atemarbeit, soziale Verbundenheit und Routinen zur Regeneration. Prävention ist zentral — je früher Sie handeln, desto weniger chronische Folgen entstehen.
Kann Stress an die nächste Generation weitergegeben werden?
Ja. Studien zeigen transgenerationale Effekte, zum Beispiel bei Überlebenden extremer Traumata und ihren Nachkommen, die epigenetisch veränderte Stressgene aufweisen. Die Forschung ist noch im Fluss, aber die Verantwortung ist klar: Unser Lebensstil beeinflusst nicht nur uns, sondern auch kommende Generationen. Das ist ein starker Grund, heute aktiv zu werden.

Wie Sie beginnen können
Praktische Schritte für Ihre Balance:
- Erkennen: Reflektieren Sie, welche Verhaltensmuster aus früheren Erfahrungen stammen.
- Reduzieren: Schaffen Sie Belastungsquellen ab — soziale Medien, Schadstoffbelastungen, übermäßige Leistungsanforderungen.
- Verbinden: Investieren Sie in Gemeinschaft, Austausch und sichere Bindungen.
- Diagnostik: Nutzen Sie funktionelle Labortests, wenn Beschwerden bestehen (Entzündungen, Hormone, Mikrobiom).
- Therapie: Kombinieren Sie Traumaarbeit, Coaching und medizinische Unterstützung.
Ressourcen und Weiterbildung
Wer vertieft lernen oder professionelle Hilfe sucht, findet Angebote wie die Epigenetik‑Ausbildung der HealVersity. Für Laien gibt es niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten ebenso wie professionelle Kurse für Fachpublikum. Informationen sind verfügbar über epigeneticoach.de und die HealVersity‑Plattform.
Wie kann QS24, wikiSana und QS24.tv Sie dabei unterstützen?
QS24 bietet eine umfangreiche Sammlung von Sendungen und Experteninterviews auf wikiSana sowie weiterbildende Formate. Die Plattform verbindet wissenschaftliche Tiefe mit praktischer Anwendbarkeit. Nutzen Sie die QS24 Academy für zertifizierte Kurse: https://my.qs24.academy, die QS24 App: https://www.qs24.tv/qs24-app/ und die QS24 Sprechstunden: https://qs24.run/sprechstunden. Die Online‑Ausgabe des Gesundheitskompasses finden Sie unter https://qs24.run/online. Melden Sie sich außerdem für den Newsletter an: https://www.qs24.tv/newsletter/.
FAQ
Was ist Dysregulation des Nervensystems und wie erkenne ich sie?
Dysregulation bedeutet, dass die natürliche Balance zwischen Aktivierung und Erholung gestört ist. Symptome sind chronische Anspannung, Schlafstörungen, Brain Fog, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen oder wiederkehrende Entzündungen. Beobachten Sie Ihr Energieprofil über Tage und Wochen: Bleiben Sie dauerhaft auf Hochtouren oder sind Sie dauerhaft erschöpft, ist das ein Zeichen.
Kann Epigenetik wirklich verändert werden?
Ja. Epigenetische Marker reagieren auf Lebensstil, Ernährung, Umwelt und psychische Prozesse. Maßnahmen wie Schadstoffreduktion, Traumaarbeit, gezielte Ernährung und soziale Verbundenheit können epigenetische Veränderungen begünstigen und die Gene in einem gesünderen Muster regulieren.
Sind Autoimmunerkrankungen reversibel?
Viele Autoimmunprozesse lassen sich durch Ursachenforschung und ganzheitliche Interventionen deutlich verbessern und in manchen Fällen in Remission bringen. Wichtig ist die Kombination aus medizinischer Behandlung, Eliminierung externer Trigger (z. B. Umweltgifte), Stressregulation und traumaorientierter Arbeit.
Wo finde ich vertrauenswürdige Weiterbildung?
Die QS24 Academy bietet zertifizierte Kurse und Praxistrainings. Ergänzend können Sie das Angebot der HealVersity und spezialisierte Epigenetik‑Ausbildungen nutzen. Informieren Sie sich auf https://my.qs24.academy und epigeneticoach.de.
Abschließende Worte
Die Dysregulation des Nervensystems ist weder zufällig noch unabänderlich. Mit Wissen, gezieltem Handeln und der richtigen Unterstützung können Sie die Regulation wiederherstellen. QS24, wikiSana und die QS24 Academy bieten Ihnen dafür fundierte Inhalte, praktische Kurse und direkte Dialogformate wie die QS24 Sprechstunden. Nutzen Sie die QS24 App, abonnieren Sie den Newsletter und stöbern Sie im Gesundheitskompass.
Die erste Ausgabe des QS24 Gesundheitskompasses erreichte bereits eine Auflage von 140’000 Exemplaren. Die zweite Ausgabe erscheint im November 2025 und markiert einen neuen Meilenstein: über 600.000 Exemplare insgesamt, davon rund 580.000 im D‑A‑CH‑Raum verteilt. Das ist unsere Verpflichtung zu Wissenschaft, Prävention und ganzheitlicher Information.
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sich mit diesen wichtigen Themen auseinanderzusetzen. Bleiben Sie achtsam und verantwortlich gegenüber Ihrer Gesundheit. Herzlichst, im Namen des Teams.
Mit Dankbarkeit,
Ihr QS24‑Team














