Warum der Goldstandard am Menschen vorbeiforscht – Interview mit Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. M.Sc. Christian Schubert, Psychoneuroimmunologe

Medizin am Menschen vorbei? Warum der Mensch mehr ist als seine Laborwerte

In diesem Gespräch erklärt Prof. Dr. Christian Schubert auf prägnante Weise, warum klassische Studiendesigns häufig an der Realität des Menschen vorbeiforschen und wie eine ganzheitlichere Forschung aussehen muss. Die Themen reichen von den Grenzen des Randomized Controlled Trial bis zur Bedeutung von Psyche, Beziehungen und Umfeld für Ihre Gesundheit. Dieser Text ist Teil der Reihe QS24, wikiSana, QS24.tv, Sprechstunden und richtet sich an alle, die verstehen möchten, wie Medizin menschlicher werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Die Brücke zwischen Schulmedizin und Ganzheitsmedizin

Prof. Schubert beschreibt die heutige Situation als eine Brücke, die an vielen Stellen zu kurz ist. Auf der einen Seite steht die Schulmedizin mit ihren klaren Messwerten; auf der anderen Seite das lebendige Individuum mit seiner Geschichte, seinen Beziehungen und seinem Rhythmus. Wenn Sie nur den einen Pfeiler bauen, bricht die Brücke im Sturm zusammen. Es braucht beides.

Warum sagen Sie, dass der medizinische Goldstandard am Menschen vorbeiforscht?

Der Goldstandard in der Medizin, vor allem randomisierte, placebo-kontrollierte Studien, geht häufig davon aus, dass wenige Messzeitpunkte ausreichen, um komplexe Prozesse abzubilden. In einem typischen Stressexperiment misst man eine Ruhebedingung, setzt einen standardisierten Stressor und misst nach einer fixen Zeit erneut. Das Problem: viele physiologische Reaktionen sind nicht linear und verlaufen zyklisch. Cortisol oder Blutdruck können vor einem Anstieg erst sinken, oder die Kurve eines Menschen ist schneller oder langsamer als die eines anderen.

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Das bedeutet konkret: Wenn bei allen Probanden zur selben Zeit gemessen wird, treffen Sie jeden in einem anderen Abschnitt seines Stressprozesses. Person A könnte genau im Peak gemessen werden, Person B schon wieder in der Erholung, Person C noch im Abfall. Die Standardmethode ignoriert individuelle zeitliche Verzögerungen und damit ein zentrales Merkmal des lebenden Menschen.

Welche Folgen hat diese Messungspraxis für die Diagnostik und Therapie?

Sie erzeugt Fehlinterpretationen und führt zu oberflächlichen Schlussfolgerungen. Lehrbücher über chronische Erkrankungen basieren oft auf solchen Ergebnissen. Wenn man Menschen als dynamische, sinngebende Wesen begreift, wird klar: viele Schlussfolgerungen verlieren ihre Gültigkeit, weil sie die zeitlichen, psychischen und sozialen Determinanten nicht berücksichtigen.

Gibt es ein einfaches Beispiel, das Sie Ihren Patientinnen und Patienten nennen?

Ja. Die sogenannte White-Coat-Hypertonie zeigt, wie stark Psyche den Körper beeinflusst. Der Blutdruck beim Arzt ist oft erhöht, außerhalb der Praxis normal. Medizinische Messungen sind verletzlich gegenüber dem psychischen Zustand zum Messzeitpunkt. Wenn Sie also nur das Labor oder eine Momentaufnahme beachten, sehen Sie nicht das wahre, dynamische Bild.

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Was geht verloren, wenn die Psyche und Beziehungen in der Therapie außen vor bleiben?

Wenn Sie den Menschen nur biologisch betrachten, reduzieren Sie ihn auf eine Maschine. Biologie existiert nicht losgelöst vom Außen. Umwelt, Wetter, soziale Beziehungen und Sinngebung sind Zeitgeber und Trigger biologischer Prozesse. Ohne diese Kontextinformationen bleibt die Diagnostik ein Tastversuch im Sand. Sie brauchen eine Medizin, die Ursache und Wirkung als verknüpfte Ebenen betrachtet.

Wie könnte eine menschenzentrierte Forschung aussehen?

Schubert und sein Team in Innsbruck arbeiten seit Jahrzehnten an alternativen Designs. Statt starrer Einmalmessungen schlagen sie individualisierte, zeitauflösende Analysen vor — mehr Messpunkte, individuelle Zeitachsen und Einzelfallanalysen, die Zyklusmuster sichtbar machen. Solche Ansätze fangen die schwarzen Schwäne ein, die in Meta-Analysen verloren gehen, und liefern handlungsrelevante Einsichten.

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Werden Ihre Ergebnisse überhaupt im Mainstream gehört?

Die Antwort ist ambivalent. Schubert veröffentlicht peer reviewed, aber viele seiner Arbeiten werden selten zitiert. Das liegt nicht zwangsläufig an mangelnder Qualität, sondern auch an der Realität, dass sich wissenschaftliche Communities mit eigenen Normen und Interessen stabilisieren. Daher braucht es neue Distributionswege und unabhängige Journale, um alternative Evidenzen sichtbar zu machen.

Praktische Hinweise für Sie

Was können Sie persönlich tun, um Ihre Resilienz zu stärken, wenn Ihr Arzt primär nach Laborwerten urteilt?

Es kommt auf Ihre Ausgangslage an. Bei psychischen Störungen empfiehlt Schubert Psychotherapie, bevorzugt tiefenpsychologische oder gesprächsorientierte Verfahren. Wenn Sie bereits gesund sind, stärkt Distanz zu rein biomedizinischer Beratung oft die eigene Widerstandskraft. Praktisch heißt das: Pflegen Sie Beziehungen, achten Sie auf Lebensrhythmen, suchen Sie für komplexe Fragen ergänzende Beratung und hinterfragen Sie Momentaufnahmen.

Wie sehen Sie die Zukunft der medizinischen Forschung?

Schubert ist optimistisch, auch wenn Veränderung langsam ist. Neue Initiativen, unabhängige Verlage und staatlich geförderte Journale sollen korrumpierte Strukturen durchbrechen. Außerdem wächst das Interesse an individualisierter Forschung. Wenn Sie als Gesellschaft die Nachfrage nach offenen, vielfältigen Forschungsformaten erhöhen, entsteht Druck für eine korrigierte Wissenschaftspraxis.

Interviewpartner schaut direkt in die Kamera und erklärt praktische Empfehlungen, klarer Bildausschnitt

Was bedeutet das für die Praxis?

  • Hinterfragen Sie Messwerte: Fragen Sie nach Messzeitpunkt, Kontext und wiederholten Messungen.
  • Beziehen Sie Psyche mit ein: Seien Sie offen dafür, dass Gefühle, Beziehungen und Bedeutungen physiologische Parameter beeinflussen.
  • Suchen Sie Vernetzung: Fragen Sie nach interdisziplinärer Begleitung statt isolierter Laborbefunde.

FAQ

Was ist der Kernkritikpunkt an randomisierten, placebo-kontrollierten Studien?

Sie messen meist an wenigen fixen Zeitpunkten und ignorieren individuelle zeitliche Muster und Kontextfaktoren. Dadurch können zyklische oder verzögerte Reaktionen übersehen werden.

Beeinflusst die Psyche wirklich so stark biologische Messwerte?

Ja. Beispiele wie White-Coat-Hypertonie zeigen, dass psychische Zustände Blutdruck, Hormone und andere Parameter deutlich verändern können.

Wie können Patienten die Forschung verändern?

Indem Sie kritische Fragen stellen, alternative Angebote suchen, unabhängige Publikationen unterstützen und an Formaten wie interaktiven Sprechstunden teilnehmen.

Gibt es bereits alternative Publikationswege?

Ja. Kleine, unabhängige Verlage und genossenschaftlich organisierte Journale fördern abseits der Industrienetzwerke neue Forschungsergebnisse.

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Herzlichen Dank für Ihr Interesse. Mit warmen Grüßen,

Alexander Glogg

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